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Harald Fuchs

Vote/Vote

 

03.11. - 16.12.2012

 

 

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder. Kunst macht sichtbar.

Paul Klee

 

Mit der für das Forum für Fotografie konzipierten Werkpräsentation Vote/Vote kehrt Harald Fuchs in die Ausstellungsräume der Schönhauser Straße zurück, wo er 2008 seine Medieninstallation Hybrid-Kontroverse zeigte.

 

Mit seiner neuen Arbeit stellt Fuchs eine künstlerische Stellungnahme zum Themenkomplex Afrika vor. Der Künstler ist nach 19 Forschungsreisen ein sensibler Kenner der kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüche des Kontinents und lässt seine Reiseerfahrungen und Beobachtungen der soziokulturellen und politischen Veränderungen in seine künstlerischen Reflexionen einfließen. Dabei distanziert sich er sich von dokumentarfotografischen Ansätzen oder direkten politischen Stellungnahmen.

 

Seine Materialinszenierung stellt sich als ein Bildtheater disparater Objekt- und Fotofragmente dar, als vom Licht der Overheadprojektoren und Beamer gestalteten Collage-Raum transparenter Überlagerungen und fließender, kommunizierender Motive und Medien. Der Objekt- und Fotoküstler Fuchs führt mit seiner ars combinatoria einen Widerstreit zwischen Bildern und Dingen vor. Aus der Divergenz von Wahrnehmbarkeit und Wiedergaben, der verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten und Interpretierbarkeiten entspringen faszinierende Brückenschläge auf der Suche nach neuen Einsichten.

 

Fuchs ist nie Dokumentarfotograf, er bedient sich des Faktischen lediglich als Ausgangsmaterial und Stilmittel und bricht dessen Eindeutigkeit innerhalb der Mehrdimensionalität der künstlerischen Gesamtkonzeption; übrig bleibt der Widerhall des Authentischen, der das Raumgefüge kaleidoskopisch aufbrechender Motivkomplexe durchdringt.

 

So wird etwa eine 15-minütige Filmaufnahme, die während der Durchquerung von Ruandas Hauptstadt Kigali aus dem fahrenden Auto entstanden ist, zu einem Versuch, den so festgehaltenen Rohstoff Realität in seiner offenkundig sich darbietenden Banalität vorbei fließender Verkehrsstraßen, Hochhäuser, Vorstadtviertel und konfuser Menschenmengen „abzutasten“ und diese mit dem durch den Betrachter imaginierten, 1994 stattgefundenen Genozid in Ruanda kollidieren zu lassen. Wachgerufen werden die damaligen Ereignisse lediglich durch eine Art Störung des Bildflusses, der verlangsamt und überblendet wird durch Dürers Kupferstich „Kain erschlägt Abel“ und dem entsprechenden Bibelzitat.

 

Wie ein Kontrapunkt verhält sich zu dieser filmisch in den Blick genommenen Alltagswirklichkeit der irreal scheinende Innenraum einer der zahlreichen von Fuchs in Ruanda aufgesuchten Gedenkstätten des Genozids. Die in einem dieser Memorials an den Decken aufgehängten Kleidungsstücke der Opfer wurden von Fuchs fotografiert, zu einer Art komprimiertem Patchwork collagiert und, der Strategie des fortgeführten Umgangs mit unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen folgend, mit Abbildungen zeitgenössischer afrikanischer Textilwerbung kombiniert, die das Thema der traditionellen Bekleidung und überlieferten Muster und Farbmotive aufgreift und damit die Problematik von Identität und Zugehörigkeit der unterschiedlichen Ethnien konnotiert.

 

Wie geht das zeitgenössische Ruanda mit dem historischen Erbe um? Kann es sich von den alten Geistern befreien? Kann das tänzerische Bewegungsmotiv der eingeblendeten Modeaufnahme als Befreiungsschlag aus dem bedrängenden Kleidermeer der Toten verstanden werden oder wird sich die beschwingte jugendliche Gestalt in diesem Labyrinth verirren?

 

Die Projektion einer rituellen Szene aus einer Stammeszeremonie („Die wiedergefundene Fremdheit/Zeremonie“), der Fuchs beiwohnen durfte und die gleichsam als Leitmotiv in seinem Oeuvre wiederkehrt, beschwört als geisterhaft wirkende Positiv-Negativ-Collage den Übergang der Welt der Lebenden in die der Toten. Kombiniert mit dem objet trouvé, einer Astgabel-Leiter, erhält die Szenerie zusätzliche mögliche Bedeutungsebenen. Angespielt wird auf die Perpetuierung archaischer Bräuche und Denkformen, das Festhalten an überlieferten Mythen und durch schamanische Riten vermittelte Glaubenssysteme, die auf vielfältige Weise auch heute noch die sozialen Strukturen durchdringen und beeinflussen.

 

Ein Kontinent des Aufbruchs und der Moderne einerseits, aber auch ein Kontinent der scheinbar unlösbaren politischsozialen Widersprüche, der sozialen Konflikte andererseits, gezeichnet von politischer Stagnation und Leerlauf. Vote/Vote als imperative Worthülse für Stillstand, Korruption und politischen Verrat?

 

Auch die problematische Situation eines Landes wie Nigeria wird stellvertretend Teil von Fuchs dreidimensionaler Bildcollage; ein an Öl reiches Land, in dem der Großteil der Landesbevölkerung systematisch auf der Verliererseite steht. Jedoch formuliert Fuchs auch hier keine offene Sozialkritik, vielmehr versucht er das Erlebte in der Architektur komplementärer und assoziativer Strukturen, in Objekt-Assemblagen und Raumkonstellationen erfahrbar zu machen. Konsequent wird das fotografische Moment in ein filigranes Bezugssystem aus Gegenverweisen eingebunden, dessen Spannungsverhältnisse für den Betrachter unmittelbar räumlich erlebbar werden.

 

Auf beeindruckende Weise wird das vom Künstler Erlebte dem Betrachter als Reflexionsraum haptisch und visuell zur Betrachtung und Interaktion dargeboten. Projektionen, Diaphanien und das Verschmelzen des Disparaten locken immer wieder neu zur assoziativen Erschließung Fuchs‘ hintergründiger Botschaften, die jedoch keine finalen Schlüsse zulassen, sondern den Betrachter auffordern, die gegenübergestellten Parallelwelten zur Deckung zu bringen.

 

„Es ist“, wie Fuchs einmal selbst formulierte, „ein Prinzip meiner künstlerischen Arbeit geworden, bekannte, d.h. anerkannte Bilder und Formeln aus den Bereichen Naturwissenschaft, Religion und Kunst miteinander zu konfrontieren und zu überlagern, um somit ein ‚visuelles Geflecht‘ herzustellen, aus dem sich neue sinnliche und intellektuelle Reize und Erkenntnisse schöpfen lassen.“1)

 

Die Stärke und Überzeugungskraft von Fuchs künstlerischer Feldforschung und Befragung komplexer wissenschaftlicher, religiöser und gesellschaftlicher Zusammenhänge liegt in seiner besonderen Art der Kombinatorik und einem „größtmöglichen Kontrast zwischen Simplizität und Komplexität. (…) Der Einsatz der Mittel ist sehr genau kalkuliert und erreicht mit einem Minimum an Technik das Optimum an gewünschter Wirkung.“ 2)

 

Durch die sensible Auseinandersetzung mit vorzugsweise fremdartigen und abstrakten Phänomenen unserer Lebenswirklichkeit und die Originalität deren künstlerischer Erarbeitung nimmt Fuchs eine singuläre Position im Kunstbetrieb

ein, aus der heraus er in der Lage ist, einen Moment der Unterbrechung, Abstraktion und Dekonstruktion unserer am gewohnten Bilderfluss angepassten Sehgewohnheiten zu leisten.

 

Thomas Appel

 

1) Harald Fuchs zitiert aus: Das Paradoxe von Schrödingers Katze: Harald Fuchs – Installationen und Zeichnungen. Stiftung Museum Schloss Moyland, 2007.Katalog, S. 48

 

2) Edith Decker-Phillips: Systeme des Forschens, Allegorien des Wissens. In: in vitro. Württembergischer Kunstverein. Katalog.

 

Vita

 

Harald Fuchs, 1954 in Rehau/Oberfranken geboren, studierte Grafik-Design an der Fachhochschule Wuürzburg (1974–1978) sowie Freie Grafik an der Akademie der Bildenden Kuünste Stuttgart bei Prof. Rudolf Schoofs (1978–1982). Zwischen 1992 und 1995 lehrte Fuchs als Professor im Bereich Visuelle Kommunikation und Mixed Media an der University of Applied Sciences Augsburg und seit 1995 an der University of Applied Sciences Duüsseldorf (Visuelle Kommunikation und Mixed Media).

 

Fuchs erhielt 1990 ein Stipendium der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo und wurde mit dem „Hermann-Claasen-Preis für Fotografie und Medienkunst“ (1997) sowie mit dem „Kulturpreis der Stadt Rehau” (2003) ausgezeichnet. Seit vielen Jahren entwirft er Licht-, Foto- und Videoinstallationen im Theaterbereich sowie für teils ständige Ausstellungen in Museen und anderen öffentlichen Gebäuden. Nicht weniger als 19 Forschungsreisen führten ihn seit 1981 auf den afrikanischen Kontinent in Städte und Dörfer, zu Kultstätten und traditionellen Medizinmännern. Harald Fuchs lebt und arbeitet in Köln und Düsseldorf.

 

 

Fotografien © Harald Fuchs

www.haraldfuchs.com

 

 

 

 

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