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Robin Maddock

Our kids are going to hell

 

07.09. - 03.11.2013

 

 

"We do not remember for long the what of events unless it is accompanied by the how and the why in understandable human terms. To give us this, the journalist must also become an artist, bringing his understanding of life, his sensitivity and, above all, his own participation in what he is experiencing to a high point of focus, sharpening its essential reality." 1

 

Drei Jahre begleitete Robin Maddock zwischen 2005 und 2008 mit behördlicher Sondererlaubnis die Einsatzkommandos der Polizei von Stoke Newington in den Vorort Hackney im Nordosten Londons bei ihren nächtlichen Razzien.

 

Aus dem Privileg des uneingeschränkten Zugangs zum Einsatzgeschehen heraus ließ Maddock sich allerdings nicht zu vordergründig spektakulären Aufnahmen der Gewalt oder dramatischen Effekten verführen. Das Aufschweißen und Eintreten von Wohnungstüren in der Morgendämmerung erscheint als routinierter, geordneter Prozess. Es fließt kein Blut, wir sehen keine flüchtenden Kriminellen, Überrumpelungen und Prügeleien werden uns erspart. Die Verdächtigen sitzen meist bereits mit Handschellen auf Sofas oder Betten, wenn sie von Maddock abgelichtet werden und lassen die Hausdurchsuchungen mit resigniert oder abwesend wirkenden Minen über sich ergehen.

Der Realismus, mit dem die Verhafteten ins Blickfeld geholt werden, die Kollision ihrer Intimsphäre mit der Staatsgewalt, bringen unwillkürlich das Schaffen Weegees und insbesondere seine berühmten New Yorker Nachtaufnahmen der 1940er Jahre von Festnahmen Klein- und Großkrimineller in Erinnerung. Der Verweis ist in zweifacher Weise aufschlussreich. Er markiert zunächst die völlig neue Qualität von Maddocks Ansatz, die Dramatik des Geschehens zu untergraben und alles Körperlich-Gewalthafte zu filtern. Weegee holte die im Bildtitel genau identifizierten Täter am liebsten so ins Bild, dass das Verbrechen sich in ihrem nah an die Kamera herangeholten Gesichtsausdruck unmittelbar widerzuspiegeln scheint und die Dramatik, wo möglich, durch die neugierigen Blicke von Schaulustigen noch gesteigert werden konnte.

 

Dennoch bietet Weegees fotografisches Werk jenseits des an der körperlichen Manifestation des Deliktes interessierten Voyeurismus auch eine künstlerische Dimension, die Alain Bergala so beschreibt: „Weegee’s Stil ist allgemein durch seine Entschlossenheit gekennzeichnet, den elementaren Gesetzen der Pressefotografie zu widerstehen (korrekter Blickwinkel, maximale Lesbarkeit), um somit ganz im Gegenteil die sich ihm bietenden Gewaltszenen derart ins Bild zu rücken, wie ein Regisseur eine Filmszene angehen würde: um Raum für Geheimnisvolles und für Spekulation zu lassen, um Fiktion ins Spiel zu bringen, die einen Informationsgehalt komplettiert, der nicht vollständig oder nicht schlüssig genug, zu stark fragmentiert oder zu ausufernd ist.“ 2

 

Es sind solche Strategien der Doppelbödigkeit, der gewollt ins Bild gebrachten Ironie und absurden Komik, mit der die Eindimensionalität des Geschehens augenzwinkernd hintergangen wird, welche auch Maddocks sehr persönlichen fotografischen Stil besonders kennzeichnen. Hat man auf der einen Seite den Eindruck, die überrumpelten und hilflosen Tatverdächtigen würden von Maddock mit respektvoller, empathischer Distanz behandelt (oft werden sie anonymisierend angeschnitten oder von hinten fotografiert), wird man auf der anderen Seite den Verdacht nicht los, dass die dokumentierten Bemühungen der Einsatzkräfte mit einem gewissen Schmunzeln begleitet werden: Beamte, die auf Küchenschränke klettern, unter Sitzmöbeln und Betten nach Drogen oder Waffen wühlen, mit billigen Einwegkameras belastungsrelevante Snapshots machen, geben beredt Zeugnis von der Banalität und dem Leerlauf meist ergebnisloser polizeilicher Prozeduren.

 

Die wie zufällig ins Bild genommene Graffiti-Figur scheint die vor einer Hofmauer in ausgelassener Verschnaufpause versammelten Polizeibeamten durch ein in die entgegengesetzte Richtung gewendetes mokantes Schmunzeln zu kommentieren. Auf einem ins Blickfeld gerückten Türposter zeigt der Rap-Musiker 2pac, mit Pistole im Hosenbund, den Ordnungskräften aggressiv den Mittelfinger. Der auf dem Tisch abgelegte Polizeihelm gerät ungewollt zur Ingredienz eines skurrilen Stilllebens aus Utensilien gerade unterbrochenen Drogenkonsums. Szenen mit laufenden Fernsehern geraten zu weiteren visuellen Randbemerkungen und fügen eine Note des Irrealen und Zweideutigen hinzu.

 

Wiederholt geht Maddocks Blick am eigentlichen Geschehen vorbei in die Höfe und auf die umliegenden Fassaden und erwischt dabei einzelne Neugierige an Fenstern und Türen oder auf der Straße, deren Reaktionen aber gleichfalls eher distanziert und skeptisch wirken. Das allgemeine Klima der Indifferenz und Lähmung wird durch Außenaufnahmen eines eher unwirtlichen Hackney aus Hochhauskomplexen, verlassenen Seitenstraßen und Hinterhöfen in seiner Tristesse noch gesteigert. Die unter den gegebenen Lichtverhältnissen oft schemenhaft und versteinert erscheinenden Figurengruppen geben dem Gesamtbild der Verschlossenheit eine zusätzliche Qualität der Entfremdung. Das somit entstehende Gesamtbild ist von Disparität und Isolierung geprägt. Hier werden keine Schlussfolgerungen gezogen und Fälle geklärt. Der Betrachter dieses Kaleidoskops fein ineinander fallender inkongruenter Geschehensfragmente kann sich keinen rechten Reim machen: Der von Bergala angesprochene Informationsgehalt implodiert, der spekulative Raum öffnet sich für die der kaum schlüssigen Story unterlegten Stimmungslage, welche die Funktion der eigentlichen Botschaft übernimmt. Während wir kaum etwas über identifizierbare Ereignisabläufe erfahren, fokussiert unsere Sensibilität immer stärker die in der allgemeinen Ereignislosigkeit aufscheinende Atmosphäre, den Charakter der Story; eine ästhetische Wirkung, die durch den Mix von hektischem Gedränge, Chaos und der stummer Wehrlosigkeit des Einzelnen auf der einen Seite und den melancholischen, wie Besinnungsversuche wirkenden Panoramaaufnahmen des nächtlichen Hackney auf der anderen Seite pointiert wird.

 

Somit gibt Maddock die leichte, aber bedeutungslose Beute der folgerichtigen Lesbarkeit auf und wendet sich von ihr ab: „Dies ist nicht das Ziel des Projektes, vielmehr liegt die Absicht darin, die Bedingungen von einer verlorener Bedeutung und der toxischen Geistesarmut aufzuzeigen. […] Der Hauptverdächtige hier ist die Landschaft, die Kontraste in Hackneys Textur sprechen von unserer kollektiven Missachtung.“ 3 In der konsequenten Verweigerung aller rhetorischen Register lässt Maddock die subtile Choreografie kollidierender Einzelaufnahmen für sich sprechen und entzieht damit jeder Form eingleisiger Deutung sozialer wie politischer Verhältnisse die Legitimität. Aus der vermeintlichen Formlosigkeit einer offen gehaltenen Dokumentation kristallisiert sich die vom Künstler fixierte Dichte eines Stimmungsbildes heraus.

 

 

Thomas Appel

 

 

1 Weegee gives journalism a shot of creative photography. PM Daily, Juli 22, 1945. Zitiert in: Miles Barth (Hg.): Weegee’s World. Boston 1997, S. 11.

2 Alain Bergala: Weegee and Film Noir. In: Miles Barth (Hg.): Weegee’s World. Boston 1997, S. 74.

3 Robin Maddock: Our Kids are going to hell. London 2009.

 

 

Fotografien: © Robin Maddock

 

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