019497 - kopiehubert fichte mit dan-maskekarneval haitilm-502993

Leonore Mau

Das zweite gesicht - Hommage à Leonore Mau

 

8. November - 21. Dezember 2014

 

Das Gesicht ist der Schlüssel zur Persönlichkeit eines Menschen. Von einem künstlerischen Porträt erwarten wir daher, dass es uns mehr zeigt, als die bloße Erscheinung einer Person. Dem fotografischen Porträt ist die Ambivalenz von Identität und Abbild besonders eingeschrieben, in Roland Barthes Worte gefasst: „Denn die Fotografie ist das Auftreten meiner selbst als eines anderen: eine durchtriebene Dissoziation des Bewusstseins von Identität.“ [1]

 

Um Bewusstseinszustände geht es auch Leonore Mau in ihrer Fotografie, wenn sie sich in ihrem zentralen Werk den afroamerikanischen Religionen in Brasilien, der Karibik und Miami widmet oder die psychiatrischen Dörfer in Afrika dokumentiert. Die Trancezustände, die in den Ritualen der Macumba, Candomblé und Santerìa hervorgerufen werden, und auch die Bewusstseinszustände der Kranken unter Einfluss von Psychopharmaka spiegeln sich in den Gesichtern wider und werden eingefangen in den Porträts. Leonore Mau gelingt das Porträt, indem sie ihre Modelle psychologisch und deren gesellschaftliche Kontexte anthropologisch und soziologisch durchdringt. Daraus ergibt sich ihre künstlerische Auffassung des Gesichts. So entstehen die Bilder der vom Geiste gezeichneten, von Göttern und Dämonen besessenen oder mit Masken verwobenen Gesichter.

 

Leonore Mau fotografierte für große deutsche Zeitschriften. Wie viele andere Dokumentationen wurden ihre Fotografien aus Miami zu Texten von Hubert Fichte im Stern und in der Zeit als Illustration journalistischer Berichterstattung veröffentlicht. In Miami traf sie einen Santerìa-Priester, der sie in seinen Tempel einlud und ihr erlaubte, der Einweihungszeremonie der Kongo in Miami beizuwohnen und dabei zu fotografieren: Eine Frau bekommt ein weißes Tuch vor die Augen gebunden, der Priester führt ein Ei an ihrem Körper entlang. Eine Machete wird ihr auf den Kopf und an die Brüste gehalten, eine Haarsträhne abgeschnitten, zur Andeutung schamanischer Zerstückelung. Die Fotografin schildert den Vorgang in einer Serie von Motiven und vermittelt dem Betrachter die Strenge der Inszenierung und das unbedingte Aufeinanderfolgen der rituellen Handlungen.

 

Mit anderen Aufnahmen porträtiert Leonore Mau besonnene Novizen vor ihrer Einweihung und dieselben mit Pünktchen bemalt während der Zeremonie. Die Porträts der Geweihten aus den afroamerikanischen Ritualen zeigen Einsichten in das Unsichtbare und visualisieren verborgene Tabus. Es sind Porträts von Menschen, die ihr Bewusstsein verlieren, sich in Trance befinden und daran glauben, dass Götter von ihrem Körper und ihrem Geist Besitz nehmen. Die Vergeistigung der Trance manifestiert sich in den Gesichtern in verzerrter, besonders ausdrucksstarker oder auch entrückter, vollkommen gelöster Mimik. Die Zeichnung der Gesichter bleibt jedoch nicht beim Mimischen. Während der rituellen Handlungen werden die Köpfe kahl rasiert und mit Punkten bemalt, Tierkörper werden über Köpfe gestülpt, Rinnsale von Milch und Tierblut ergießen sich über Stirn, Augen, Nase, Mund und Kinn, und greifen in das natürliche Erscheinungsbild der Gesichter ein, das sie dekonstruieren und erweitern.

 

Die Faszination dieser Bilder liegt vor allem darin, dass sie ein Phänomen fixieren, an das der Betrachter im Allgemeinen nicht glaubt: Die Präsenz der Götter in Körper und Geist der Geweihten. Ganz unglaublich erscheint hier die Akzeptanz angesichts des Beiseins einer Fotografin mit Kamera. Tatsächlich hat sich Leonore Mau der volkskundlichen Methode der teilnehmenden Beobachtung bedient und oft Monate darauf verwandt, Kontakte und Vertrauen zu den religiösen Gemeinschaften aufzubauen. Jedes Porträt dokumentiert eine Begegnung und charakterisiert nicht nur den Porträtierten sondern auch die Porträtierende hinter der Kamera.

 

Die Bemalungen und die Überschüttungen mit Milch und Blut ähneln bereits den Maskierungen, wie sie Leonore Mau im Karneval auf Haiti und in Trinidad dokumentierte. In diesem Kontext entstanden Bilder eindrucksvoller Köpfe mit Ganz- und Halbmasken. Sie ergänzen den Blick auf das menschliche Gesicht: Masken verdecken und entfremden Gesichter. Das Antlitz einer maskierten Person ergibt sich aus dem Zusammenwirken von ausgesparten Gesichtspartien und der Beschaffenheit der Maske. Die Maske erlaubt ihrem Träger, eine Rolle anzunehmen, vielleicht sogar unerkannt und hemmungslos zu agieren. Fragen tun sich auf: Was hat die Maske mit der Person zu tun, deren Gesicht sie maskiert? In welchem Verhältnis steht sie zur Identität ihres Trägers? Dient die Maske zur Visualisierung und Vergegenwärtigung von etwas Innerem oder Gedachtem?

 

Unter den zahlreichen Porträts von Hubert Fichte, die im Nachlass von Leonore Mau existieren, gibt es eines, in der er sein Gesicht zur Hälfte mit einer Dan-Maske bedeckt. Seine Worte dazu lauten: „Mit nichts entblößt man sich so wie mit Masken. Nackt, um zu entschlüpfen“.[2]

 

Franziska Mecklenburg

 

[1] Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt a.M. 1985, S.21

[2] Hubert Fichte, Hälfte des Lebens Leonore Mau: Hubert Fichte, Hrsg. Ronald Kay, Hamburgische Kulturstiftung, Hamburg 1996, S. 160

 

 

 

[nach oben]