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George Friedman

Fotonovelas

 

04.05. - 14.07.

 

 

Eine blonde Frau und ein dunkelhaariger Mann fahren im Cabriolet am Meer entlang – eine Szene ganz im Klischee des klassischen Hollywoodfilms. Mit Großbildkamera und kunstvoller Ausleuchtung inszenierte George Friedman fotografisch den Lebensstil der High Society in narrativen Einzelepisoden, die zu Fotoromanen zusammengefügt werden sollten. In den meisterhaften Arrangements und Bildkompositionen sowie einer verdichtenden Inszenierungstechnik setzte er die gefühlsbetonte, pathetische Bildsprache des großen Hollywoodkinos mit kühler Erotik und eleganter Gestik ins Bild. Friedman hatte seine fotografische Meisterschaft der Darstellung dieser an Filmstills erinnernden Aufnahmen erworben, als er als Kameramann in den Filmstudios von Pathé, Paramount und MGM arbeitete, bevor er 1939 in Argentinien eine neue Heimat fand. Dort etablierte sich auf dem Niveau des finanzschwächeren südamerikanischen Marktes zu Beginn der vierziger Jahre das vom Film inspirierte Genre der Fotonovela.

 

In Argentinien zählte der 1910 als György Friedmann in Ungarn geborene Fotograf schon bald als Meister seines Fachs, während sein Name hierzulande bis vor einem Jahrzehnt nur wenigen Spezialisten bekannt war: Erstmals stellte der Galerist Norbert Bunge in seiner Galerie argus fotokunst in der Marienstraße in Berlin 2003 den Fotokünstler der deutschen und damit auch der europäischen Öffentlichkeit vor, kurz nach dem Tod Friedmans 2002. Aufmerksam wurde Bunge auf Friedman durch den deutschen Fotografen Max Jacoby, ein Schüler und späterer Freund George Friedmans. Jacoby und Friedman waren sich Ende der 1930er Jahre in Argentinien begegnet und gehörten der in den 1950er Jahren in Buenos Aires gegründeten Carpeta de los Diez (der Gruppe der Zehn) an, einer Gruppe zumeist emigrierter Fotografen, die die Fotografie Argentiniens ästhetisch stark beeinflussten.

 

Neben László Moholy-Nagy, André Kertész, Eva Besnyö, Martin Munkacsi und Robert Capa (der sich angeblich wegen der Namensgleichheit - er hieß ursprünglich André Friedmann - umbenannt hat) gehört Friedman zu den großen ungarischen Fotografen, die alle eine Biografie des Exodus und der Emigration aufweisen. Schon als Siebzehnjähriger emigrierte Friedman nach Paris, fotografierte dort in den nachfolgenden Jahren Porträts von Prominenten für die Studios von Manuel Frères und veröffentlichte Arbeiten in den Filmzeitschriften Pour Vous und L’Intrangsigéant. Reise- und Reportagearbeiten erschienen in den Zeitschriften Vu, Paris Match, Time und Life.

 

Friedman interessierte sich in seiner fotografischen Arbeit einerseits für den Alltag der Menschen und machte Aufnahmen von argentinischen Gauchos und Minenarbeitern im Stil der Life-Fotografie jener Zeit, wie sie Edward Steichen 1955 in seiner Ausstellung „The Family of Man“ der internationalen Öffentlichkeit vorführte. Auf der anderen Seite stand die aufwendig und perfekt inszenierte Fotografie, die deutliche Spuren seiner Erfahrungen aus den Filmstudios erkennen lässt. Mit der Übernahme des Fotostory-Magazin Idilio 1971, in dem er seine Fotonovelas veröffentlichte, avancierte Friedman zum stilbildenden Fotokünstler Argentiniens.

 

Die dem Comicheft nahestehende Fotonovela stellt den klassischen Fotoroman mit bildbegleitendem Text oder Sprechblasen dar. Ursprünglich in Italien und Spanien produziert, fand die Fotonovela seit den vierziger Jahren rasche Verbreitung auch im südamerikanischen Raum dank des weltweiten Durchbruchs des Films, dessen ästhetisches Vokabular die Novelas aufgriffen, um im weiteren Verlauf ihrer eigenen erfolgreichen Geschichte als Massenmedium auch zu eigenständigen, von der Filmproduktion losgelösten Motiverfindungen zu gelangen. Dabei lassen sich drei Hauptrichtungen erkennen: In der novela rosa dreht sich alles um Liebe, Heirat und Familie, die novela suave thematisiert das Leben des Mittelstands und die novela verde schließlich stellt die pornografische Variante des Genres dar. Die Fotostories von George Friedman, die dem Betrachter bzw. Leser des Idilio das Leben der „feinen Gesellschaft“ als Ideal, als Wunsch- oder Traumbild vor Augen führte, sind der novela rosa zuzuordnen. Sein persönlicher Ansatz ist dabei weniger von verspielt romantischer Art, als vielmehr von der kühl-eleganten Atmosphäre und Dramatik des film noir geprägt.

 

Die im Forum für Fotografie präsentierten Einzelaufnahmen entspringen nicht unmittelbar der Fotostory-Produktion, sondern stellen Friedmans künstlerische Reflexion über ein Pop-Medium dar, das er perfekt beherrschte, dessen bildsprachliche Eindimensionalität er aber in eigenständigen Fotoinszenierungen zu überwinden trachtete. Die des narrativen Kontextes enthobenen, für sich stehenden Fotografien erlangen ihre besondere Wirkung durch ihre neu erworbene Mehrdimensionalität. Das der Inszenierung weiterhin eigene plakative Moment muss vom Betrachter nun inhaltlich ausgefüllt werden. Der ästhetische Gewinn ist der einer immer noch aktuell wirkenden und uns heute noch ansprechenden Komplexität und Intensität des Bilddramas sowie einer gesteigerten Verdichtung psychologischer Momente wie Entfremdung, Leere, Verlangen und die Flüchtigkeit menschlichen Glücks.

 

Estella Kühmstedt/Thomas Appel

 

 

© George Friedman, argus fotokunst Berlin

 

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