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Martin Claßen

Das Scheitern des Imaginären

 

31. Oktober - 20. Dezember 2009

 

 

Dort, wo die Zeugnisse europäischer Kultur dem Verschwinden anheimfallen, arbeitet Martin Claßen mit seiner Großbildkamera. Tod und Verfall sind wiederkehrende Motive in seinem Werk: So ist er nicht nur in die Katakomben von Palermo hinabgestiegen, sondern hat seit Mitte der achtziger Jahre auch die barocken Kirchen und Villen Süditaliens in der Schönheit ihres Verfalls mit der Kamera eingefangen.

 

Das Forum für Fotografie zeigt herausragende Fotografien aus den verschiedenen Werkreihen von Martin Claßen, darunter die Serien "Verlorene Stätten" und "Sizilien", Aufnahmen toskanischer und süditalienischer Kirchenruinen, Villen und Palazzi sowie die Werkserien "Catacombe dei Cappuccini, Palermo" und "Cappelle nel Quartiere Spagnolo, Neapel".

 

Die in den Fotografien aufscheinende romantisch-elegische Großartigkeit der zum Teil wie Theaterkulissen inszenierten Architekturporträts verfallener historischer Gebäude wird durch die nüchterne Direktheit verdrängt, mit der Zerstörung und Substanzverlust dokumentiert werden. Das Element des Sublimen einer allzu harmlosen Ruinenästhetik wird konterkariert, ja geradezu durchbrochen von dem sich ausbreitenden Gefühl der Leere, des Wüsten, Unbeseelten: seelenlose Stätten als Zeichen der Abwesenheit, als Manifestation des "Scheiterns des Imaginären": „Es ist eine Welt des Imaginären, der religiösen Vorstellung von Einheit und Ganzheit, die sich im Symbolischen, der Sprache ihrer Bildtraditionen und ihrer Architektur formuliert. Wir sehen, wie dieses Imaginäre wieder zum Realen, zur stummen, entzauberten Materie wird.

 

Das Erstaunliche an Martin Claßens Bildern ist aber, dass nicht alleine die Zerstörung vermessen wird. Hier wird noch etwas anderes dokumentiert, denn mit dem verwüsteten Körper des Gebäudes hat sich auch die Aura dieser Räume verflüchtigt, der spirituelle Raum ist zerbrochen. Die religiösen Symbole sind nur noch beschädigte Dekoration. Von der Transzendenz, die die träge Materie aufschwingen lässt, ist nichts zu sehen, vom Gotteshaus sind alleine Staub und Ziegelsteine geblieben.“ (Thomas Linden)


Es ist der Widerspruch von Historie und Leere, Idee und Materie, Seele und Unbeseeltheit, der die Architekturzyklen mit den fotografischen Studien der palermitanischen Kapuzinergruften verbindet. Insbesondere in den Aufnahmen der in grotesker Manier als Akteure inszenierten Leichname wird das dramatische Ringen der Menschen, dem Tod ein Stück Ewigkeit zu entreißen, als Absurdum vor Augen geführt. Aus dem Versuch, Ewigkeit gegenwärtig zu halten, resultiert nur die Überzeugung des Scheiterns, des Verlustes. "Wie berührend, hilflos, vergeblich und grotesk nehmen sich doch die Versuche aus, die Toten anzukleiden und aufzubewahren, ihnen über den Tod hinaus eine physische Existenz geben zu wollen. Wie sehr sind wir doch auf den Körper und seine Inszenierung fixiert." (T. Linden)

 

Dass sich diese aus historischen Bestandsaufnahmen entwickelten Reflektionen Claßens auf die unmittelbare Gegenwart anwenden lassen, beweist eindrücklich die 2007 entstandene Fotografie „Palazzo della Civiltà Italiana, Rom, EUR“. Hier wird in der surrealen  Verquickung Wunschbilder aus Werbung und politischem Manifest der Brückenschlag hergestellt zu den Architekturzyklen und der Theatralik der Katakomben. Dem leeren Schema verpflichtet, klagen sie sich die hier vereinten „Vorbilder“ vermeintlich konträrer Welten gegenseitig an. Beide Mechanismen scheinen sich ad absurdum führen zu wollen. Im konstruierten Raum der Künstlichkeiten bleibt nur eines übrig: die entstellte Maske verlorener Menschlichkeit.

Thomas Linden

 

Martin Claßen, 1959 in Köln geboren, studierte künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule Köln für Grafik und Design. Claßen nahm an zahlreichen Ausstellungen teil, wie im Agfa Historama im Museum Ludwig Köln, im Goethe-Institut in Palermo, im Centre Pompidou in Paris, bei den Architekten Suter & Suter in Basel und auf der photokina Köln 2008 in der Visual Gallery. Er ist Stipendiat der Villa Massimo, Rom 2009. Zu seinen Publikationen gehören u.a. "Architektur der 50er Jahre in Köln", "Dresdner Villenarchitektur", "Verlorene Stätten – Italienphotographien" und "Sizilien".

 

Die Ausstellung wurde kuratiert von Thomas Linden.

 

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