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Peter Bialobrzeski

Die zweite Heimat

 

2. Juni - 14. Juli 2018

 

Im Anschluss an die bis zum 7. Januar im Haus der Photographie der Deichtorhallen präsentierte Ausstellung Die zweite Heimat zeigt das Forum für Fotografie eine Auswahl von Fotografien dieses Werkzyklus nun in Köln.   Bereits 2012 war Peter Bialobrzeski Gast im Forum für Fotografie mit seiner unter dem Ausstellungstitel Habitat subsummierten fotografischen Trilogie Case Study Homes, Informal Arrangements und !Nail Houses? Alle drei Werkreihen waren sowohl als formalästhetische wie auch gesellschaftsanalytische Untersuchungsreihen angelegt. Man könnte Bialobrzeskis damaligen Blick auf die in den prekären Lebensräumen von Manila, Shanghai und Kapstadt entstandenen Behausungen auch als eine Art Auseinandersetzung mit den Begriffen Heim und Heimat begreifen.

 

Eine explizite Auseinandersetzung mit dem Thema Heimat entwickelte Bialobrzeski hingegen ab 2002 und versammelte die daraus entstandenen Fotografien in dem gleichnamigen, 2005 publizierten Bildband. Um seinen damaligen ästhetischen Ansatz von Heimat sowie die Bildformen seiner erneuten Herangehensweise im Rahmen des Wiederaufgreifens des Themas in Die zweite Heimat näher zu verstehen, lohnt sich die Lektüre seiner Ausführungen von 2005:

 

„Gleichzeitig entwickelte sich eine deutschen Fotografie, die Garagentore, Pappkartons und bleiche, picklige Jungmanager in vorgeblich kritischer Distanz aufzeichnete. Diese Bilder gaben vor, dokumentarisch zu sein, zu objektivieren. Ihren Fürsprechern war jede Emotionalität suspekt, jede Assoziation von Schönheit schien Verrat an der angeblich so neuen deutschen Fotografie. Natürlich ist auch die ,Neue Deutsche Fotografie‘ nichts weiter als ein ästhetisches Muster, deren Pioniere zu recht mit ihren Bildern tradierte Bildkonzepte attackierten. Später hingen unter meinem Hamburger Atelierfenster käsige Jugendliche auf Großplakaten und warben für die Deutsche Telekom. Dies geriet zum ersten Auslöser der Idee, etwas ,schön’ zu fotografieren, was nicht schön zu sein hatte. Die deutsche Landschaft. Der zweite Auslöser war mein Ruf an die HfK Bremen und die damit verbundene Notwendigkeit, mich über mindestens acht Monate im Jahr in Deutschland aufhalten zu müssen. Ich wollte mein Verhältnis zu meinem Deutschlandbild klären, einem Land, das für mich emotional und kulturell prägend ist, also Heimat.

 

Meine Fotografien sind Projektionsflächen des post-postmodernen Menschen für die Sehnsucht nach der Natur. Allerdings gehört die Stille einem nicht mehr allein. ,Heimat’ bedeutet Wurzeln zu haben, nicht notwendiger Weise verwurzelt zu sein. Die Erde, aus der sie stammen, bestimmt den Code, nicht aber die Substanz. So ist ,Heimat’ auch kein Buch über Deutschland als Heimat, sondern entwirft ein Bild, das jenseits dunkler Vergangenheit, Wiedervereinigung und ,German Disease’ ein persönliches Stück Bild- und Kulturgeschichte fixiert.“

 

Und wie geht man mit dem strapazierten Begriff Heimat heute um in Zeiten der Globalisierung und Flüchtlingsströme, der politischen Instrumentalisierung? Zeiten, in denen Heimat nicht nur Identität bestimmt, sondern auch andere ausgrenzt? Um dies herauszufinden, ist Peter Bialobrzeski zwischen 2011 und 2016 erneut aufgebrochen und hat nüchterne, zum Teil ernüchternde Betrachtungen der deutschen Heimat aus Andernach, Berlin, Bottrop, Eisenhüttenstadt, Frankfurt am Main, Hagen, Hamburg, Meißen, Offenbach, Wolfsburg und vielen anderen Orten mitgebracht. Nun führt er uns in Sackgassen, Hinterhöfe und verlassene Kreuzungen sowie vor Fassaden von Kaufhäusern, Würstchenbuden, Baustellen, Bushaltestellen, Garagentoren, Einfahrten, sprich eher Orte, die nicht immer zum Verweilen einladen. In ruhigen, undramatischen Bildern wird uns der Status Quo deutscher Stadtlandschaft vor Augen geführt.

 

In der für Bialobrzeski charakteristischen kontrastarmen Lichtregie wirkt dieser Fokus auf das Unspektakuläre, Alltägliche mitunter unerbittlich. Die mit sezierender Schärfe vorgeführten und uns allen geläufigen architektonischen Ungereimtheiten vermitteln häufig den Eindruck von Unvermittelbarkeit und auch sozialer Vereinzelung. Tauchen die zumeist aus den Bildern ausgeblendeten Menschen doch irgendwo im Bild auf, wirken sie wie fehl am Platz und akzentuieren den vorherrschenden Eindruck der Ödnis, Tristesse und Einsamkeit. Im besten Fall wirken sie unbeteiligt, ratlos oder ihrer Umgebung gegenüber wie immunisiert. Architektur und Einzelfigur bilden somit die Hauptkomponenten eines Spannungsfeldes. Die bei der Betrachtung wie von selbst aufkeimende Frage nach Identität und Heimat richtet sich an den Grad der Resignation, mit der man sich in diesem Habitat eingerichtet hat.

 

Die Weitläufigkeit romantischer Landschaftsszenerien und überhaupt jedweder Ansatz von Stimmung scheinen aus dem aktuellen Heimatbild wie ausgetrieben und einer allgemeinen Desillusion gewichen. Offensichtlich ist allerdings auch, dass Bialobrzeski auch ohne Romantik und leichtgängige Schönheit seiner Prämisse der Fotografie als Bild und der Differenz zwischen Betrachtung von Realität und Kunst treu bleibt. Bialobrzeskis distanzierter, neutraler Betrachterstandpunkt und seine kühlen, präzisen Bildanlagen helfen ihm dabei, das vermeintlich Hässliche in strukturell und farblich komplexe Artefakte zu verwandeln, die von seltsamer Schönheit sind. Darüber hinaus sind Bialobrzeskis Fotografien insbesondere durch seinen strengen dokumentarischen Ansatz und die strenge Bildauffassung und Klarheit der Komposition von großer Präsenz und Eindringlichkeit.

 

„Ich will alltäglich und authentisch sein“, sagt Peter Bialobrzeski. Henning Sussebach erklärt diese Authentizität: „Auf seinen Reisen hatte er das Navigationsgerät auf ,Autobahnen vermeiden‘ gestellt. Motive in oft übersehenen Zwischenwelten, Hinterhöfen, Sackgassen gesucht. Und sich gleich zu Beginn seiner Arbeit an der zweiten Heimat selbst korrigiert. Zunächst hatte er Ziele vor Augen, deutsche Orte. Aktionärsversammlungen. Demonstrationszüge. Die Hannover-Messe. Doch hätte dann nicht auch ein Fußballstadion dazu gehört? Ein Parteitag? Ein Biergarten? Die Kölner Domplatte? Ein Förmchenfüllen wäre das geworden, paritätische Abdeckfotografie. Zudem wäre mit jedem vorab festgelegten Ziel zwangsläufig eine Erwartung verbunden gewesen, wenn nicht ein Urteil, das den freien Blick verstellt.“

 

Peter Bialobrzeski hat ein Bild von Heimat entworfen, dass weder schön noch hässlich ist und das aufgrund seines Anspruchs auf Authentizität die Gewähr bietet, dass wir uns alle darin wiederfinden.

 

Thomas Appel

 

 

 

 

 

Copyright für alle Fotografien : Peter Bialobrzeski

 

 

 

 

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