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Edgar Leciejewski

WElt im kopf

 

9. September - 21. Oktober 2017

 

Das Forum für Fotografie zeigt in der Einzelausstellung 'Edgar Leciejewski. Welt im Kopf' die jüngst entstandenen Werke 'Zwœlf' (2013-17), 'A Circle Full of Ecstasy' (2016) und 'A Scene in a Library' (2013-15).

 

Der Ausstellungstitel reflektiert weniger eine bestimmte künstlerische Betrachtungsweise, sondern die unablässige Herausforderung der Aussagekraft zeitgenössischer Fotografie. Ausgestattet mit einer soliden Grundskepsis gegenüber dem alten Versprechen der Fotografie, Realität unvermittelt abzubilden, stellt Leciejewskis Kunstpraxis das Medium immer wieder vor die Frage, welche Formen der Wahrheit noch ästhetisch vermittelbar sind. Unter diesen kritisch-analytischen Vorzeichen steht auch seine Arbeit 'Zwœlf', eine Reihe großformatiger Künstler-Porträts, in denen die Dargestellten in ihrer jeweiligen Arbeitskleidung gezeigt und im Werktitel mit Vornamen identifiziert werden.

 

Die Detailgenauigkeit und Realistik, mit der die Farbaufnahmen jede Einzelheit der Porträtierten einfangen, erfahren eine irritierende und grenzüberschreitende Zuspitzung in der Verwendung der im Fotoporträt abgelichteten Kleidungsstücke als stoffliche Rahmenverkleidung. Damit wird die geschlossene fotografische Einheit zum haptisch erfahrbaren Objekt hin aufgebrochen und gestört. Die bereits in der Darstellung der Personen vermittelte Nähe intensiviert sich zur textil übertragenen Intimität. 

Diese überzogene Tendenz der Personalisierung negiert der Künstler durch einen ebenso radikalen wie erneut haptisch erfahrbaren Schritt der Anonymisierung: Auf der Höhe der Gesichtspartien wurde der Fotoabzug mit Sandpapier abgeschliffen. Übrig bleibt ein weißer Balken, eine Leerstelle, die der Betrachter ergänzen muss. Löscht der Künstler einerseits das grundsätzlich Wichtigste eines Portraits aus, so fügt er an anderer Stelle etwas hinzu. Der unmittelbare Effekt für den Betrachter ist nicht der eines Weniger, sondern der einer Verschiebung. "Die Hierarchie der Dinge und die Automatismen des Sehens"[1] geraten durcheinander. "Nebensächlichkeiten rücken in den Mittelpunkt. Der Blick wandert ohne vorgegebenes Ziel über das Bild."[2] Somit lässt uns diese Art von Anti-Fotografie in einem Vexierspiel von Verweisen und Widersprüchen zurück. "Die Fotografie als Oberfläche, als 'Haut' der abgebildeten Person, die Kleidung als 'zweite Haut' und das Bild als materieller Körper. Wie schon frühere Arbeiten ist 'Zwœlf' ein Versuch, zum Kern der fotografischen Bilder vorzustoßen. Es geht darum, die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Produktion, Codiertheit und Betrachtung offenzulegen."[3]

 

Die ästhetischen Werkstrategien Leciejewskis sind konsequent themen- und projektorientiert sowie von einem ausgeprägten Pioniergeist im Blick auf technisch-fotografische Verfahrensweisen geleitet. In seiner Arbeit 'A Circle Full of Ecstasy' widmet sich Leciejewski ebenfalls dem Portraitgenre, jedoch in völlig anderer Herangehensweise und Präsentationsform. Das wandfüllende, aus 77 ungerahmten Einzeltafeln bestehende Tableau stellt die mehr oder weniger bekannten Repräsentanten der aktuellen politischen Weltbühne zur Schau, wobei dem ein oder anderen der Dargestellten das Privileg des zweifachen Auftritts eingeräumt wird. Griff Leciejewski bei seiner Portraitreihe 'Zwœlf' noch auf Künstlerfreunde seiner Generation zurück, so schöpft er hier aus einem persönlichen Archiv von gesammelten Presseveröffentlichungen. Das Bindeglied zwischen den hier versammelten Honoratioren des internationalen diplomatischen Parketts ist der Augenblick, in dem sie (fast ausnahmslos) die rechte Hand zum Gruß erheben. Ein weiteres uniformes Moment zeigt sich in dem Cyanblau, in das alle Einzeltafeln eingetaucht sind, um in der Gesamtansicht gleichsam en bloc de glace zu erstarren. Bezeichnend für die Experimentierlust Leciejewskis ist hierbei die Tatsache, dass er den Farbton nicht auf üblichem Weg softwaregeneriert, sondern unter Rückgriff auf ein altes Edeldruckverfahren, der Cyanotypie, realisiert.

 

Die 1842 entwickelte fotografische Technik wurde insbesondere durch die britische Naturwissenschaftlerin Anna Atkins bekannt. Für einen Moment ist man versucht, den augenzwinkernden Rückbezug von Leciejewskis Politiker-Panoptikum auf die von der Botanikerin und Illustratorin veröffentlichten wissenschaftlichen Katalogisierungsversuche von Algen und Farnen vorauszusetzen. Der Rekurs auf ein historisches fototechnisches Verfahren eröffnet jedoch einen konzeptuellen Widerspruch. Stand der Einsatz der Cyanotypie in den Anfängen der Fotografiegeschichte noch unter den Vorzeichen möglichst akkurater Abbildungen (wissenschaftlicher Proben), wendet sich der Effekt bei Leciejewskis Typologie in sein Gegenteil. Das Ergebnis ist eine Rücknahme heute möglicher Fotorealistik unter den verflachenden Farbfilter der Abstraktion.

 

Liest man 'A Circle Full of Ecstasy' zeilenweise, wird man sich der Sprichwörtlichkeit des Arbeitstitels gewahr. Sukzessive drehen sich die dargestellten Politiker um wenige Grade, so dass sich im Verlauf des Bildreigens eine kollektive Gesamtdrehung um 360° ergibt. Gleich der Mechanik einer Spieluhr scheinen die Bewegungen der roboterartigen Figuren zunehmend dem Automatismus einer blinden Maschinerie zu gehorchen. Bei eingehender Betrachtung stellt sich ein Gefühl der Entmenschlichung und Sinnentleerung ein. Der replizierte Grußgestus läuft Gefahr, in einer Leere zu erstarren. Der Kreis bricht auf, die  ekstatische Verzückung kollabiert. Ein Unbehagen beschleicht den Betrachter angesichts des Eindrucks einer Systemstörung und Entfremdung, ein Eindruck, der hinsichtlich der um sich greifenden Absurdität an den 'ghosts and flowers' betitelten Kommentar Leciejewskis zur Street Photography erinnert: Geisterhaft dysfunktionale Menschenfragmente als Beifang des Totalscans der urbanen Realität von New York City.[4]

 

Die Bemerkungen zu 'Welt im Kopf' wären unvollständig ohne einen kurzen Verweis auf 'A Scene in a Library', der großformatigen Fotografie eines Bücherregals. Zu sehen sind Bücher und Objekte ohne erkennbaren thematischen Bezug, die wie Inselgruppen und eher zufällig als einer strengen Ordnung gehorchend abgestellt sind. Nur zum Teil sind die Buchtitel identifizierbar, ansonsten sind sie verdeckt, verpackt oder durch den Eingriff des Künstlers unkenntlich gemacht, so als wollte er darauf hinweisen, dass es sich um seine unzugängliche Privatsphäre handelt. Konterkariert wird die Beiläufigkeit der Anordnung der Buchobjekte durch die Akzentuierung vor einem geschlossenen schwarzen (Regal-)Hintergrund, wodurch der Eindruck gesteigerter Bedeutsamkeit der zur Schau gestellten Einzelobjekte als kostbare Bestandteile eines konzentrierten Stilllebens erwächst.

 

Leciejewskis bildlicher Hinweis auf für ihn prägende Publikationen zum Thema Fotografie könnte bedingt Manifestcharakter haben und als unvollständiges Selbstportrait gelesen werden. Das Werk stellt darüber hinaus auch eine Hommage an das Buch wie auch eine Reflektion über das künstlerische Wechselspiel von Buch und Fotografie dar.[5]

 

Schweifen wir zurück zu den in der 'Bibliothekszene' vertretenen Buchtitel, so fällt unser Blick auch auf das schmale, von Laszlo Moholy-Nagy vor 90 Jahren veröffentlichte Standardwerk 'Malerei, Fotografie, Film'. Unschwer ist die Vorbildfunktion dieses Avantgardisten für das künstlerische Schaffen Leciejewskis erkennbar. Die medienkritische Befragung der Rolle der Fotografie und ihrer ästhetischen Potenziale in der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Situation, seine Faszination für experimentelle Ansätze sowie seine Erforschung der Durchdringung haptischer Momente und Formen der Virtualität haben bis heute ihre ungebrochene Wirkungskraft. Gut vorstellbar ist daher auch, dass wir beim Durchblättern des privaten Buchexemplars von Leciejewski den folgenden Passus Moholy-Nagys kommentiert vorfinden könnten: "Man kann sagen, dass wir die Welt mit vollkommen anderen Augen sehen. Trotzdem ist das Gesamtergebnis bis heute nicht viel mehr als eine visuelle enzyklopädische Leistung. Das genügt uns aber nicht. Wir wollen planmäßig produzieren, da für das Leben das Schaffen neuer Relationen von Wichtigkeit ist."[6]

 

Thomas Appel

 


[1] Estelle Blaschke, Kito Nedo: Sensible Territorien. Zu Edgar Leciejewskis "Zwœlf", Köln 2017..
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Edgar Leciejewski: A Scene in a Library. Berlin 2016.
[5] Edgar Leciejewski: NYC. Ghosts and Flowers/How to Build a Sun. Leipzig 2011.
[6] Laszlo Moholy-Nagy: Malerei, Fotografie, Film. München 1927, S. 27.

 

© alle Abbildungen: Edgar Leciejewski

 

Anlässlich der Ausstellung erscheint die Publikation:

Edgar Leciejewski: Zwœlf. Mit einem Text von Estelle Blaschke und Kito Nedo. Forum für Fotografie, Köln 2017.
ISBN 978-3-00-057190-9.

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Edgar Leciejewski, 1977 in Ost-Berlin geboren, siedelt 1986 um in die BRD, wo er sich in Köln zum Buchhändler ausbilden lässt und bis 2001 in dieser Branche tätig ist. 2001 legt er das Abitur am Abendgymnasium Köln ab und studiert im Anschluss Philosophie, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften an der Freien Universität Berlin (bis 2003). In dieser Zeit entstehen erste künstlerische Arbeiten, finden erste Ausstellungen statt. Von 2003 bis 2011 studiert Leciejewski an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in den Klassen von Timm Rautert, Christopher Muller und Peter Piller. 2011 erhält er den Meisterschülerabschluss. Im Jahr 2010 verbringt er ein halbes Jahr am International Studio and Curatorial Program (ISCP) in New York als Stipendiat, und als „artist in residence“ ist er mehrmals in Kanada. 2016 verbringt er drei Monate in Vietnam. Neben zahlreichen Ausstellungen im Inland- und Ausland steht eine umfangreiche Publikationstätigkeit des Fotografen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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