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Christer Strömholm

Do Something You Thought You Couldn’t

 

13. September - 19.Oktober 2003

 

 

„Er ist offen für alles, was erschrecken oder verwirren könnte, offen für das Bedrohliche. Innerhalb einer Wirklichkeit, die auch gefährlich ist, fängt er etwas Wesentliches ein.“ (Peter Weiss)

 

Christer Strömholm (1918-2002), der bedeutendste schwedische Fotograf des 20. Jahrhunderts, wird in Deutschland immer noch vor allem mit der „subjektiven Fotografie“ in Verbindung gebracht. Erst allmählich werden hierzulande auch andere Aspekte seines außerordentlichen und vielfältigen Gesamtwerks bekannt und gewürdigt. Das Forum für Fotografie zeigt eine umfangreiche Auswahl aus verschiedenen Werkgruppen und Schaffensphasen.

 

Christer Strömholm wollte eigentlich Maler werden. 1937 begann er an der Dresdner Akademie ein Kunststudium, ging jedoch bald darauf nach Paris. Hier entdeckte er Ende der vierziger Jahre die Fotografie als sein Medium. Seine ersten Fotografien aus den Nachkriegsjahren zeigen typische Szenen aus der Bohème wie Künstlerateliers oder Cafés, wenig später entstanden Studien von Strukturen wie Mauernflächen, Graffiti, von abstrakten Formen in der Landschaft oder Schatteneffekten. Diese Arbeiten erklären sein zeitweiliges Engagement für Positionen der Gruppe „fotoform“.

 

Anfang der 1950er Jahre schloss sich Strömholm unter dem Pseudonym Christer Christian der Gruppe an, 1951 nahm er mit fünf Aufnahmen an der berühmten Saarbrücker Ausstellung „Subjektive Fotografie“ teil. Doch der Schwede war ein absoluter Individualist, und sein Interesse an der Wirklichkeit führte ihn bald zu anderen Themen. 1953 verabschiedete er sich von „fotoform“ und übertrug den ausgeprägten Form- und Gestaltungswillen der Bewegung in seine ganz persönliche Bildsprache.

 

Strömholm fand zu „einer dem Existenzialismus entsprechenden“ fotografischen Sprache und wurde mit vielen Fotografen verglichen, besonders mit Brassaï. Jedoch entzog er sich mit seinem Werk klaren stilistischen Zuordnungen. Strömholm hat die Welt mit den Augen eines Künstlers betrachtet und im Rahmen einer enormen Themenvielfalt seine eigenen Visionen von der Welt entwickelt. Gleichzeitig suchte er die Konfrontation mit der Wirklichkeit und reklamierte die Nähe zu seinem Gegenüber als Grundprinzip seiner Fotografie. "Mit dem fotografischen Bild zu arbeiten, ist meine Art zu leben. Wenn ich nachdenke und meine Bilder genau betrachte, so sind sie alle – und jedes für sich – nichts anderes als Selbstportraits, ein Teil meines Lebens," beschrieb er 1983 seine Arbeit.

 

Strömholm, der als freier Fotograf arbeitete, war gleichermaßen an Dokumentarfotografie interessiert. Ende der 1950er Jahre fotografierte er Transvestiten und Transsexuelle an der Pariser Place Blanche. Mit diesen Aufnahmen erregte er selbst in seiner liberalen Heimat Schweden Aufsehen. Wiederholte Reisen führten ihn nach Spanien, Nordafrika, Indien, Amerika und Japan. Auf diesen Reisen entstanden einige seiner bekanntesten Fotografien, wie das Portrait eines blinden Mädchens oder die "Weiße Dame". Als erklärter Verfechter des "available light" arbeitete er ausschließlich mit vorhandenem Licht, so dass das Milieu zwar Bestandteil seiner Bilder ist, Details jedoch zumeist im Dunkel verschwinden.

 

Anfang der sechziger Jahre übernahm Strömholm die Kurse in Bildgestaltung von dem in Schweden lebenden Schriftsteller und Filmemacher Peter Weiss. Aus den Abendkursen entwickelte er gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Tor-Ivan Odulf die inzwischen legendäre Stockholmer Schule für Fotografie, die "Fotoskolan". Bis 1972 studierten hier über 1200 Studenten aus aller Welt, darunter die besten Fotografen Nordeuropas wie Anders Petersen, Dawid, Christer Landergren, Kenneth Gustavsson und Ulla Lemberg. Auch Regisseure wie Bille August und Håkan Pieniowski wurden von der undoktrinären Ausbildungspraxis dieser Schule geprägt. Die "Fotoskolan" bot eine für damalige Verhältnisse einzigartige Ausbildung, in deren Mittelpunkt das fotografische Bild und nicht, wie damals üblich, die Technik stand.

 

Zentrales Anliegen war die Auseinandersetzung mit dem Inhalt von Fotografien. Prinzipiell sollte sich der Fotograf seiner eigenen Rolle bewusst werden, auch in Bezug auf den Kontakt zu seinem Gegenüber. Es galt die Wirklichkeit abzubilden, dabei dem Bild aber ein eigenes Gepräge zu geben. "Ein Foto, das nur die exakte Kopie eines Gegenstandes oder Menschen ist, bleibt immer nur eine Kopie", lautete einer von Strömholms Lehrsätzen. Er selbst hat folgende Grundgedanken zu seinen Bildern formuliert: 1. Verantwortung – selbst die Verantwortung für den Wahrheitsgehalt des Bildes zu übernehmen; 2. Erkenntnis – verschiedene Erfahrungen zu neuen Schlussfolgerungen zusammenzufügen; 3. Präsenz – mit meinen Gefühlen, Erfahrungen und meiner Imagination anwesend zu sein. „Sich aussetzen“ nannte Strömholm die hier skizzierte fotografische Haltung – und genau diese Haltung fordert er auch vom Betrachter seiner Fotografien.

 

Die Welt auf diesen Bildern ist dunkel und verwirrend, zeigt Schwäche, Zerbrechlichkeit, Verwundbarkeit und Tod. Gleichwohl versuchen diese Bilder nicht, Realität abzubilden. Sie wollen sie auch nicht erklären. In Zusammenhang mit Fotografien von Christer Strömholm fällt immer wieder das Wort "Ikone" – und vielleicht ist dies der beste Begriff, um die enorme Wirkung und den einzigartigen und nicht klassifizierbaren Charakter dieses fotografischen Oeuvres zu bezeichnen.

 

Christer Strömholm

1918 Geboren am 22. Juli in Stockholm.

1924 Scheidung der Eltern, bald danach verheiraten sich beide Partner neu; Christer lebt wechselweise in beiden Familien. Christers Vater ist als Offizier an verschiedenen Orten in Schweden, Polen und Rumänien stationiert.

1934 Selbstmord des Vaters.

1935 Als Austauschstudent in Deutschland (lebt bei einer Familie in einem Schloss in Morungen bei Sangershausen, Harz); lernt deutsch.

1937 Studiert an der Kunstakademie in Dresden bei Prof. Waldemar Winkler, mit dem er sich wegen seiner Sympathien für Paul Klee und andere verbotene Bauhauskünstler kurz darauf überwirft; lernt die Tänzerin und Prostituierte Doris Spengler kennen, eine Halbjüdin, die seine Geliebte wird.

1937 18. April Ankunft in Paris, wo er weiter studiert. Reisen nach Italien, Monte Carlo, Marseille.

1938 Besucht in Arles den schwedischen Künstler Dick Beer. Übernimmt Kurierdienste für die Republikaner in Spanien; sympathisiert mit den Anarchisten. Im Herbst Rückkehr nach Schweden, wo er bei Otte Sköld und Isaac Grünewald Malerei studiert.

1939/40 Teilnahme am finnisch-sowjetischen Winterkrieg.

1940-45 Schließt sich einer Gruppe schwedischer Widerstandskämpfer an, die gegen die deutschen Truppen in Norwegen kämpft; übernimmt Kurierdienste und arbeitet als Verbindungsmann für die norwegische Widerstandsbewegung in Stockholm.

1946 Geht nach Paris und immatrikuliert sich an der Académie des Beaux Arts; die Fotografie wird sein Medium. Fotojournalistische Arbeiten, Portraits von verschiedenen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur für das brasilianische Magazin Mania. Kunststudien in Paris, Faenza und Florenz.

1951-53 Mitglied der Gruppe "fotoform" unter der Leitung von Otto Steinert; nimmt unter dem Pseudonym Christer Christiansen an verschiedenen gemeinsamen Ausstellungen teil, u.a. 1951 in Saarbrücken an der ersten Ausstellung Subjektive Fotografie.

1952 Reise nach Spanien und Marokko. In den fünfziger Jahren auch Sommervertretung bei der schwedischen Bildagentur Reportagebild.

1956 Ansikten i skugga (Gesichter im Schatten), Dokumentarfilm zusammen mit Peter Weiss.

1956-62 Fotografiert die Transsexuellen an der Place Blanche in Paris. Formuliert seine Prinzipien zur Fotografie: The Available Light (Das vorhandene Licht) und Personal Responsibility (Persönliche Verantwortung).

1957 Übernimmt von Peter Weiss einen Abendkurs an der Kursverksamheten (einer Art Volkshochschule für Erwachsene) an der Stockholmer Universität und unterrichtet dort Gestaltung. Daraus entwickelt er zusammen mit seinem Freund Tor-Ivan Odulf eine Schule für Fotografie, die legendäre Fotoskolan.

1958 Kauft eine alte Ruine in der Nähe von Fox-Amphoux in der Provence und richtet sich dort eine Dunkelkammer ein. Während des Sommers Reiseleiter und Platzchef bei Scandinavian Touring auf Mallorca. Fotografiert viel.

1962-74 Leiter der Fotoskolan in Stockholm. In dieser Zeit werden mehr als 1.200 Studenten an der Fotoschule ausgebildet, darunter bekannte skandinavische Fotografen wie Dawid, Christer Landegren, Anders Petersen und der dänische Regisseur Bille August.

1963 Reisen nach Amerika, Indien, Japan, Kenia.

1964 Fotografisches Arbeitsthema: Die Wirklichkeit (bis 1974).

1974 Fotografisches Arbeitsthema: Private Bilder (bis 1982).

1977 Beginnt mit der Polaroidkamera zu fotografieren.

1978 Teilnahme an den Rencontres Internationales de la Photographie, Arles, Frankreich.

1982 Fotografisches Arbeitsthema: Zeichen und Spuren. Erhält ein Arbeitsstipendium des schwedischen Staates.

1993 Ernennung zum Professor durch das schwedische Kulturministerium.

1998 Erhält den Hasselblad Award 1997.

1999-2001 Beginnt an dem Buch Testamentet (Das Testament) zu arbeiten.

2002 Gestorben am 11. Januar in Stockholm.

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