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Irina Ruppert

Cortorar Gypsies

 

19. Juni - 17. Juli 2016

 

 

Im Zentrum Rumäniens, im Kreis Hermannstadt in Siebenbürgen, liegt Pretai. Seit 2006 fährt die Hamburger Fotografin Irina Ruppert regelmäßig in das Dorf, um die dort lebenden Cortoraren kennenzulernen und zu portraitieren. Die „Blechzigeuner“, wie man sie bisweilen auch nennt, sind eine Gruppe traditionell lebender Roma, die ein altes Handwerk pflegen, das ihnen nach wie vor als Einnahmequelle dient: das Schmieden von Gebrauchsgegenständen aus Kupfer.

 

Irina Ruppert – fasziniert von der traditionellen Lebensweise dieser Gruppe – hält in eindrucksvollen und zugleich sehr klaren Portraits die Persönlichkeiten dieser Dorfbewohner fest. Ihre Fotografien bewegen sich im Spannungsfeld zwischen einer intensiven Recherche und Auseinandersetzung mit dem Leben der Roma, die dem Ansatz einer Reportage gleicht, und einer künstlerischen, poetischen Bildsprache auf der anderen Seite. Und so erzählen die Bilder auch ohne lange Titelei viel über diese Menschen: Ohne große Direktive der Fotografin positionieren sie sich in einer beeindruckenden und spürbaren Selbstverständlichkeit vor der Kamera. Sie tragen, was sie immer tragen und sie kommen, wie sie sind. In einer abgelegenen Region Rumäniens, in der die westliche Selfiekultur noch nicht angekommen ist, scheinen Menschen viel mehr „bei sich“ und sich ihrer selbst viel bewusster zu sein, als es im Kreuzfeuer westlicher Selbstdarstellungsmanie möglich ist. Meint man daher, viel mehr Identität auf den Bildern erkennen zu können?

 

Dass dieser Eindruck langsam auch Risse zeigt und in Zeiten der nicht aufzuhaltenden Globalisierung einer schleichenden Veränderung unterworfen ist, ist eine Stimmung, die die Fotografin während der Arbeit an diesem Projekt im Kopf hat und die sie durch das Setting der Portraits unterstreicht. Dieses Setting ist so schlicht wie komplex – so führte erst der Test mit zwanzig verschiedenen selbst angerührten Farbtönen zu dem gewünschten Ergebnis des lebendigen grünen, türkisen Hintergrunds, der die farbige Kleidung der Portraitierten akzentuierend umfasst und für den sich Irina Ruppert u.a. durch die Portraitmalerei inspirieren ließ. Dieser Hintergrund wird bisweilen unterbrochen und gestört von hineinragenden Zweigen, die die natürliche Umgebung verraten und dadurch eine sinnfällige Metapher für den Wandel und die damit einhergehenden Fragen bilden: Wie verwandeln sich Bräuche und Riten, traditionelle Familienstrukturen, wenn die äußeren Umstände sich in einer Weise ändern, die die Jugend zum Arbeiten in die Städte oder in virtuelle Weiten und die Alten zum Betteln nach Italien treibt?

 

Die Cortoraren, die in der letzten Häuserreihe ihr Haus bauen durften, kämpfen schon lange um Anerkennung innerhalb der rumänischen Gesellschaft. Sichtbarkeit ist dabei ein wesentliches Mittel auf dem Weg zu mehr Akzeptanz – auch deshalb werden die Fotografien Irina Rupperts mit Stolz von den Bewohnern in ihr Haus gehängt und präsentiert, so wie sie oft auch zum letzten Bild eines Verstorbenen auf den Grabmälern des Friedhofs werden: Sie avancieren zu einem wichtigen Medium der Familiengeschichte und Selbstvergewisserung.

 

Irina Ruppert zeigt im Forum für Fotografie in Köln eine Ausstellung im Format einer Installation: Die fotografischen Portraits werden von einem Film, einer Soundspur und einer Zeitung begleitet. In dieser klärt ein Text der Anthropologin Catalina Tesar über das Leben der Cortoraren auf und reflektiert ein Interview mit Klaus Michael Bogdal (Autor des Buches „Europa erfindet die Zigeuner“) Irina Rupperts Portraits vor dem Hintergrund der Kulturgeschichte der Roma.

 

Text: Heide Häusler

 

 

 

 

 

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