heyman004heyman019heyman021heyman034heyman042

 

Ken Heyman

Popartportraits

 

10. Januar - 08. März 2015

 

Es heißt immer, dass die Zeit die Dinge ändert,

aber tatsächlich musst Du sie ändern.

Andy Warhol

 

Der Begriff PopArt wurde erstmals 1955 von dem englischen Kunstkritiker Lawrence Alloway benutzt. Der Begriff weckt zwei unterschiedliche Assoziationen des Wortes Pop: Popular = volkstümlich, beliebt, Pop selbst = Knall.

 

Sunday Times Magazin, 26. Januar 1964 "Pop Art: Way Out or Way IN?" In den ersten Januarwochen 1964 war die Pop Art auf dem Titelblatt der Farbbeilage der Sunday Times angekommen. Natürlich ließ das Magazin keinen Zweifel an der richtigen Antwort: Way In.

 

Anfang der sechziger Jahre hatten Großbritannien und die USA mehrheitlich die unguten ökonomischen Erinnerungen des Zweiten Weltkriegs hinter sich gelassen. Insbesondere in den USA entwickelte sich ein bis dahin unbekannter Wohlstand einer breiten Mittelschichtgesellschaft. Der Begriff der Konsumgesellschaft sprengte alle bisherigen Vorstellungen. Industriell vorbereitetes und durch eine neue Form allgegenwärtiger Werbung angefeuertes Kaufverhalten begründete einen nicht enden wollenden Boom. Beflügelte Limousinen, Schnellstraßen, lange Regale in gigantischen Supermärkten, Waschmaschinen, Fernseher, Musikboxen, Miniröcke – alles war plötzlich da und verfügbar. Die Konsumgesellschaft fand sich schnell wie selbstverständlich in einer Überflussgesellschaft wieder. Insbesondere das Konsumverhalten der Teenager weckte das Interesse der Umsatzstrategen. In Großbritannien gaben Teenager in den sechziger Jahren pro Jahr 800 Millionen Pfund für Bekleidung und Unterhaltung aus. Ein großer Teil des verfügbaren Geldes wurde für Popmusikschallplatten ausgegeben. Insbesondere die Popmusik vereinte die Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft, Rassen und Kulturen in einem weltweiten Gefühl kultureller Identität. Am 17. Oktober 1965 erhielten die Beatles den Orden des British Empire. Der Geist der Swinging Sixties wurde von keiner anderen Musikgruppe auf der Welt besser beeinflusst und symbolisiert.

 

Die westliche Welt erhielt mit der Popkultur eine gemeinsame kulturelle Prägung, die sich nicht auf Musik beschränkte. In breiten gesellschaftlichen Prozessen kam es in vielen Ländern zur sozialen Demokratisierung und Neubewertung politischer und moralischer Vorstellungen. Glücklicherweise erwiesen sich die Ängste der britischen Sittenwächterin Mary Whitehouse als sehr berechtigt. Sie hatte immer wieder gewarnt vor einem allgemeinen Sittenverfall, vorehelichem Geschlechtsverkehr, Recht auf Abtreibung und Homosexualität, aber auch vor der Beleidigung der Monarchie, der moralischen Werte und von Recht und Ordnung. Die Popkultur übernahm die überfälligen Aufräumarbeiten der aus Kolonialzeit und nationalistischem Verbunkern übriggebliebenen Kulturhülsen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Moralische Werte, Recht und Ordnung wurden auf den Prüfstand humaner Inhalte gelegt.

 

PopArt ist aus diesem neuen demokratisierten Kulturverständnis, den auf materielle Werte gründenden Fortschrittsvisionen und aus dem Lebensgefühl der Konsumgesellschaften, insbesondere der USA, hervorgegangen. PopArt ist eine Kunst der Objekte und bezieht sich in ihrer Material- und Objektästhetik auf Chiffren der Werbegrafik und der seriellen Warenproduktion. Sie war damit eine figurative Gegenbewegung zu Informel und Action Painting.

 

Zu den wichtigsten Künstlern der PopArt zählen in den USA Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Tom Wesselmann, James Rosenquist, Claes Oldenburg, Richard Lindner und Richard Hamilton.

 

 

The Factory

 

The Factory, zeitweise auch Silver Factory genannt, war Andy Warhols Studio und Atelier in New York. Die erste, im Jahre 1962 gegründete Factory, befand sich in der East 87th Street, bekannt als „Firehouse”, einer verlassenen Feuerwache. Hier hatte Andy Warhol von Anfang bis Ende 1963 gearbeitet. Die eigentliche legendäre Silver Factory befand sich von Anfang 1964 bis Anfang 1968 in New York an der Adresse 231 East 47th Street zwischen der 2nd und 3rd Avenue im Stadtteil Manhattan, zwischen dem Sitz der Vereinten Nationen und dem Grand Central Terminal. Im Februar 1968 zog sie dann nach 33 Union Square West, bevor das alte Gebäude abgerissen wurde.

 

Warhol zielte mit dem Begriff Factory sowohl auf das Ambiente der Räume in einem alten Fabrikgebäude ab, als auch auf sein Verständnis von fabrikähnlicher Kunstproduktion in Serie. Das Innere der Factory war, basierend auf einer Idee des Mitarbeiters und Fotografen Billy Linich (später als Billy Name bekannt), mit Alufolie ausgekleidet und mit silberner Farbe besprüht. Die großen Fenster zur Straßenseite waren mit Silberfolie bedeckt, so dass bei künstlicher Beleuchtung Tag und Nacht nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren.

 

Die Factory war der Ort, wo sich bildende Künstler, Musiker, Tänzer, Schauspieler, Selbstdarsteller, Homosexuelle, Drogenfreaks und – alles zusammenfassend – Warhols „Superstars“ trafen. Zunächst „produzierte“ Warhol hier im wahrsten Sinne des Wortes mit seinem ersten Assistenten, Mitarbeiter und unermüdlichen „Mädchen für alles“ Gerard Malanga seine Kunst: Serielle Siebdrucke und Objekte. Später diente die Factory, aber vor allem das berühmte rote Sofa in der Raummitte, als Drehort und Szenario etlicher Warhol-Filme.

 

Die New Yorker Ateliers dieser Künstler waren Treffpunkt der angesagten Musik- und Kunstszene. Auch Fotografen gaben sich die Klinke in die Hand. In dem Buch Andy Warhol, Giant Size von Dave Hickey finden sich aus dem Jahr 1964 Fotografen wie in einem „Who is who“ vereint: Bob Adelman, Eve Arnold, Rudi Burckhardt, Henri Dauman, Bruce Davidson, Nat Finkelstein, Evelyn Hofer, Ellen H. Johnson, Marc Lancaster, Neil Libbert, Gerard Malanga, David McCabe, Fred W. McDarrah, Duane Michals, Ugo Mulas, Billy Name, Stephen Shore, Alfred Statler, Edward Wallowitsch, John Weber und Ken Heyman.

 

 

Ken Heyman

 

Noch vor der Publikation des Buches Andy Warhol, Giant Size war Ken Heyman in der New Yorker Szene bereits von höchster Stelle „geadelt“ worden. Zusammen mit Minor White, Jerome Liebling, Georg Kause und Garry Winogrand hatte der Leiter des Fotografie Departments des Museums of Modern Art (MoMA) Arbeiten von ihm 1963 in der Ausstellung Five Unrelated Photographers präsentiert. Edward Steichen bezeichnet ihn in diesem Zusammenhang als den „most importand photographer to emerge in the last ten years“.

 

Ken Heymans fotografischer Schwerpunkt ist eigentlich nicht die New Yorker Kulturszene. Der 1930 in New York geborene Fotograf studierte am Columbia College und publizierte bereits als Student im LIFE Magazin. In seinem zentralen Interesse standen überwiegend soziale Themen in der globalen Welt. Er studierte Anthropologie bei Margaret Mead und bereiste nach eigenen Angaben sechzig Länder dieser Welt. Aus diesen vielen Reisen stammt das Bildmaterial, das er 1983 für seinen Bildband "The World`s Family" auswählte. Das Buch ist eine bewusste Hommage und Fortführung von Edward Steichens Ausstellung und dem Katalog "Family of Man 1954/1955". In seinem ersten Buch "Willie" von 1963 dokumentierte Heyman das Leben eines vier Jahre alten Jungen, der als Sohn einer Prostituierten aufwächst, mit der Methode eines ethnologischen Fotografen.

 

Aus einem vergleichbaren ethnologischen Blickwinkel sind wohl auch die Fotografien entstanden, die Ken Heyman im Auftrag des Buchautors John Rublowsky 1964 für das Buch Pop Art machte. Für ihn persönlich ist es ein seltsamer Weg des Schicksals, dass diese Aufnahmen aus der New Yorker Kunstszene ihn berühmter machten, als seine sozialengagierten Arbeiten. Rublowskys Auftrag an Heyman war, die fünf wichtigsten Künstler der amerikanischen PopArt im Atelier, zu Hause und bei öffentlichen Gelegenheiten, insbesondere Vernissagen, zu fotografieren. Die Auswahl fiel auf Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg, James Rosenquist, Tom Wesselmann und –Andy Warhol.

 

Auf vielen Fotografien ist gut zu sehen, an welchen Themen die Künstler zu dieser Zeit arbeiten. Die Atelierbilder von Roy Lichtenstein posieren vor Bildern seiner Girls-Serie, the nurs. Atelier, Malwerkzeug und Staffeleien werden minutiös erfahrbar. Unübersehbar ist die Freude am kreativen Prozess, ohne jede elitäre Selbstquälung. Claes Oldenburg spielt mit Masken und überdimensionierten Ohren und Brüsten und seinem Floor Cake aus dem Jahr 1962 herum, Wesselmann beschäftigt sich mit einem seiner Still Lifes, und seine Bathroom Collage ist vom Entstehungsprozess bis zur Installation in einer Sammlerwohnung zu verfolgen. Rosenquists Bild Taxi ist zu erkennen, angeschnitten auch sein Bild President Elect mit der Darstellung Kennedys, das später vom Guggenheim Museum angekauft werden wird. Und überragend präsent sind die immer wiederholten Selbstinszenierungen des jung aussehenden Andy Warhol, der aber damals immerhin schon 36 Jahre alt war. Dass wir sein Gesicht älter in Erinnerung haben, liegt an den unzähligen später fotografierten Bildern, von all den Fotografen, die nach Ken Heyman noch in die Factory kommen sollten und ihren Teil dazu beitrugen, dass Andy Warhol fast so häufig oder noch häufiger als der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson fotografiert wurde.

 

Ken Heyman hat Norbert Bunge in New York diese frühen Vintage Fotografien der amerikanischen PopArt zur Verfügung gestellt. Diese einzigartigen und detaillierten Dokumente der Kunstgeschichte der amerikanischen PopArt werden erstmals in Deutschland gezeigt. Im September/Oktober 2014 fand in der Galerie Argus Fotokunst eine erste Ausstellung statt, eine umfangreichere Präsentation nun im Forum für Fotografie, Köln.

 

Dr. Norbert Moos

Fotografien ©Ken Heyman

 

 

 

 

 

 

[nach oben]