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DAS FOTOGRAFISCHE PORTRaiT

Zeitgenössische Beiträge von 20 Fotografinnen und Fotografen - Ergebnis einer Ausschreibung

 

18. Juni - 29. August 2004

 

 

"Um ein Portrait anzufertigen, muss der Fotograf zu Werke gehen wie der Maler auch. Er muss sich eingehend mit seinem Modell beschäftigen, muss, dessen Charakter gemäß, Pose und Art und Farbe der Kleidung variieren und, nachdem er sich im Geist auf die Komposition des Bildes festgelegt hat, die Mittel zu dessen Ausführung entsprechend anordnen. Die Verfahren des Fotografen sind nicht gleichermaßen geeignet, gleiche Wirkungen zu erzielen. Wie der Maler muss folglich auch der Fotograf seine Mittel variieren. […] So vermag der Fotograf das Gepräge seiner Erzeugnisse breiter zu fächern und die Natur gar zu interpretieren und zu idealisieren, zumindest aber sie in ihren vorteilhaftesten Zügen wiederzugeben, und (genau) darin besteht seine Kunst."

Mit diesen Worten beschrieb der Fotograf Louis–Désiré Blanquart-Evrard die Möglichkeiten fotografischer Porträtkunst. Das war im Jahre 1851, und natürlich ging es hierbei vor allem um eines: darum, den gleichberechtigten Kunstanspruch des gerade mal zwölf Jahre alten Mediums Fotografie gegenüber der Malerei zu behaupten. Dieses Konkurrenzdenken wurde in eine neue Richtung gelenkt, als die "Seele" ins Spiel kam: 1872 veröffentlichte Charles Darwin sein epochales Werk mit dem Titel "Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und bei den Thieren". Darin vertrat er die Überzeugung, dass sich die "inneren" Befindlichkeiten in der "äußeren" Physiognomie des Gesichts widerspiegeln. Darwins folgenreiche Studien veränderten auch die Kunst des Portraits: Jetzt war mit der psychologischen Studie eine neue Qualität gefragt, die offenbar kein Medium so gut liefern konnte, wie die Fotografie. Doch das psychologische Porträt geriet spätestens in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in die Krise: Man glaubte nicht mehr, der Fotograf sei imstande, das Innere des Menschen, die ganze Persönlichkeit in ihren signifikanten Facetten wiederzugeben, wo er doch tatsächlich nichts weiter als die Oberfläche seiner Erscheinung fixieren konnte.

 

Zwar sagt man bis heute, dass Fotografie die Seele rauben kann. Ebenso heißt es, dass die Fotografie das Medium ist, dem die höchste Beweiskraft, Objektivität und Wahrheit zugestanden wird: Fotos lügen nicht. Doch der einstige Glaube an die Aussagekraft des bürgerlichen Individualporträts ist gebrochen und hat einer Vielzahl von "Menschenbildern" Platz gemacht. Für Diskussionen sorgten Anfang der 80er Jahre Versuche verschiedener Fotografen, den Einzelnen auf "zeitgemäße" Art abzubilden, wie beispielsweise Thomas Ruff mit seinen großformatigen Porträts. Kritiker erkannten in diesen Fotografien allerdings das Ende der Ära des fotografischen Porträts, eine Absage an alle idealistischen Versprechen, die dieses Genre bis dahin im Vergleich zu anderen Gattungen so bedeutungsvoll hatten erscheinen lassen.

 

Die Verbindung von psychologischer Präsenz und äußerer Identität schien endgültig überholt, das fotografische Menschenbild entleert und damit in seinem Anspruch letztendlich gescheitert. Was die Fotografen allerdings nicht daran gehindert hat, weiter an diesem Thema zu arbeiten: In den letzten Jahren ist in Ausstellungen und Publikationen eine starke Präsenz fotografischer Menschenbilder zu beobachten. Dabei lösen sich die Fotografen zunehmend von den traditionellen Parametern des Genres und verwischen die Grenzen von Dokumentation und Fiktion. Ohne den klassischen Absolutheitsanspruch an die "Wahrhaftigkeit" des fotografischen Porträts schaffen sie mediale Menschenbilder von oftmals großer Intensität und Aussagekraft.

 

Dass das Porträt heute zu den wichtigen Gattungen der Fotografie gehört, bewies auch der Rücklauf von 170 Einsendungen auf die offene Ausschreibung des Forums für Fotografie. Ganz bewusst wurde in der Ausschreibung auf jede Einschränkung des Themas verzichtet. Man war gespannt, welche Antworten die Fotografen auf die vielen Fragen liefern würden, die sich mit dem fotografischen Menschenbild verbinden: Was bedeutet Fotografen heute das Porträ? Aus welchen Gründen fotografieren sie Menschen? Welche Fragestellungen haben sie an das Menschenbild? Nach welchen Konzepten gehen sie vor, welche formalen und bildnerischen Lösungen finden sie in der Auseinandersetzung mit dem Thema? Ausgewählt wurden zwanzig aktuelle Positionen, die das breite Spektrum inhaltlicher und formaler Ansätze repräsentieren.

 

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