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Clare Strand

Taschenspielertrick

 

15.04. - 27.05.2012

 

 

Porträts und Stillleben sind auf das Wesentliche reduziert: junge Frauen, die in verrätselter Isolierung und nebulös entrückter Apathie den Betrachter fixieren; anonyme Objekte des Alltags, die sich einer unmittelbaren Entschlüsselung verweigern und die keinen Sinnzusammenhang produzieren wollen; wundersame Levitationen; durch Zaubertrick geteilte Körper und vereinsamte Tische, die nicht viel mehr tun, als den Betrachter auf sich selbst zurückzuwerfen und ihn mit den bühnenhaften Szenerien allein zu lassen.

 

Clare Strand liebt es, uns in ihre wundersame Welt melancholischer Abwesenheit, mysteriöser Konstellationen und inszenierter Spannungszustände zu entführen, eine Welt, an der unsere logikorientierten Ergründungsversuche Schiffbruch erleiden.

 

Bereits in ihrer Serie GONE ASTRAY PORTRAITS (2002/2003) entwarf Strand eine bizarre Bildergeschichte ohne Story, deren hypnotisch-albtraumhafte Abgründigkeit eher Unbehagen auslöst und zugleich eine magische Fantasiewelt evoziert, in der das Alltäglich-Banale einem Möglichkeitsraum zugeführt wird, in dem weit mehr stattfinden könnte, als wir ahnen.

 

Verführung und Verschleierung spielen auch eine Schlüsselrolle in ihrer Arbeit SIGNS OF A STRUGGLE (2003), in der vermeintliche Spuren eines Tathergangs pseudodokumentarisch vorgeführt werden, die Betrachtung jedoch im Zuge eines sinnentleerten Spiels mit der Rhetorik der forensischen Fotografie in einem Zustand der Vermutungen und Eventualitäten verharrt und sich im ästhetischen Irrgarten von Geheimnis und Absurdität verliert.

 

UNSEEN AGENTS (2006/2007) konfrontiert uns mit auratischen Halbfigurenporträts von Jugendlichen, die in Nebelschleier eingehüllt zu sein scheinen. Diese in „spirit shops“ produzierten Aurafotografien gelten abwechslungsweise als Weissagung, Heilmittel der Alternativmedizin oder Scharlatanerie und werden durch ihre vermeintliche Manifestation von Gedanken und Gefühlen innerhalb eines bestimmten Farbspektrums als Momentaufnahme des Wesens der fotografierten Person gehandelt.

 

Ausgangspunkt für diese fotografische Serie war u.a. Strands Auseinandersetzung mit der „Theosophischen Gesellschaft“, die 1875 in New York gegründet wurde und das Konzept entwickelte, Wesenhaftes durch Farben zu versinnbildlichen. Auch die Aurafotografie verfolgt diesen Ansatz. Die „Photisms” sind definiert als „strahlende Erscheinungen des halluzinatorischen Charakters“, deren wesentliches Ausdruckmittel, die Farbe, von Clare Strand mit augenzwinkernder Geste mittels Überführung in den Schwarz-Weiß-Modus ad absurdum geführt wird. Dabei geht es Strand nicht so sehr um zynische Demontage als vielmehr um ästhetische Klarheit, also um den Versuch, den Dingen durch abstrahierende Distanz näher zu kommen und Situationen in der Schwebe zu belassen. Durch ihren reflektierenden Umgang mit dem Medium Fotografie akzentuiert sie zudem den Umstand, dass Fotografie nicht Abbild, sondern immer ein transformatorischer Prozess ist. Ihre zwischen Konstruktion und Abbild oszillierenden Bilder sind stets auch eine Aufforderung an den Betrachter, seine Wahrnehmungsstrategien zu überprüfen.

 

Auch die sogenannte Kirlianfotografie, die über die elektrische Leitfähigkeit menschlicher Körperteile oder den direkten Kontakt mit Gegenständen die metaphysische Energie des Lebendigen und Unlebendigen sichtbar machen und Aussagen auch über mentale Zustände liefern sollen, werden in der lustvoll dekonstruierenden Art von Strands Anwendung zur Herausforderung.

 

In der Fokussierung auf das Objekthaft-Mechanische der wie Stillleben ins Bild gesetzten Versuchsanordnungen wird die Vergeblichkeit unseres Glaubens an die Beweiskraft (pseudo-)wissenschaftlicher Methoden zur Schau gestellt. (1) Am Rande des Alltäglichen macht Strand auf stille wie entblößende Weise die Inkongruenzen einer gleichsam ausfransenden Realität aus, die letztendlich absurd ist, und erntet, zwischen den Zeilen unserer Bilderwelt lesend, die Früchte, die als das Außergewöhnliche aus dem Banalen erwachsen und als das erschütternd Gewöhnliche aus dem Besonderen hervortreten. Ihr spielerisch-subversiver Ansatz verweigert dabei allzu eindeutige Schlussfolgerungen und bewahrt uns immer auch einen „Moment der Würdigung, der Inschutznahme des Absonderlichen und Mysteriösen vor der reinen Vernunft“. (2)

 

Das durch intensive Recherchen entstandene, breitgefächerte Privatarchiv Strands mit kuriosen Fundstücken von „utilitarian photography“, der Gebrauchsfotografie in den Naturwissenschaften, der Kriminalistik, Produktwerbung etc., liefert das Ausgangsmaterial für ihre verstörenden Inszenierungen. Die Künstlerin ist dabei weniger an der zeitgenössischen Kunst als vielmehr an der Vielfalt popkultureller und kulturgeschichtlicher Einflüsse interessiert: an den Kultmythen der B-Movies, Kriminalgeschichten, Horrorfilme, dem Interesse der Viktorianischen Epoche an Spiritualismus und Theosophie sowie an den eigenen privaten Obsessionen und Kindheitserinnerungen. Besonders fasziniert ist Strand von den fotografischen Manifestationen paranormaler Phänomene, denen vor allem die Fotografen des 19. Jahrhunderts begeistert und im Glauben an die Wirkungsmacht der Fotografie auf der Spur waren. Mit den seit 2008 entstandenen Arbeiten „Conjurations“ und „Skirt“ (2010) mündet die Welt des Spiritismus in die der Zauberbühne. Die Künste der magischen Verzauberung, der Illusion, der Taschenspielertricks und deren bildnerische Darstellung haben Strand schon immer gefesselt, insbesondere auch in ihrer Affinität zum fotografischen Medium selbst.

 

„Strands Arbeiten bewegen sich in dieser Weise zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren, dem Unglaublichen und Nichtmöglichen, dem Präsenten und dem Abwesenden im Medium der Photographie. In einer Zeit, in der uns die Photographie und ihre Verbreitung durch die neuen Medien scheinbar überall alles visuell erfahren lässt, begeistert eine Position, die sich mit spielerischer Ernsthaftigkeit dem Teil der sichtbaren Welt widmet, der uns bisweilen verschlossen bleibt.“(3)

 

Thomas Appel

 

 

1) So äußert sich C. Strand auch über die Ambiguität und Absurdität bestimmter Tatortfotos: „They are non-photographs – that’s why I like them. There is something there that, even now, I don’t particularly understand. There is a sort of uselessness in desperately trying to get photography to prove something. There is also a gap between the promise of these photographs and reality. It is, for me, also a type of absurdism.” In: Clare Strand. Photoworks/Steidl, 2009, S. 93.


2) Torsten Scheid: Ins Universum der mysteriösen Bilder, Lokaltermin bei Clare Strand. In: PhotoNews 11/2010. S. 17. Vgl. auch Clare Strands eigene Äußerungen in „Clare Strand in conversation with Chris Mullen, Brighton, March 2008“: „Unseen Agents makes no attempt to reach a finite conclusion about the nature of the paranormal or the authenticity of its imagery. It is about the visual possibilities thrown up by this area of practice. I choose to use the Aura Camera as it embodies a belief about how photography has been understood – a mysterious magic box that can capture the essence of the sitter and bare the soul.” In: Clare Strand. Photoworks/Steidl, 2009, S. 103.


3) Heide Häusler: Clare Strand. Vom Abwesenden im Bild. In: FRAME #3, Jahrbuch der DGPH, 2010, S. 212.

 

 

 

 

VITA

 

Die britische Fotografin Clare Strand, 1973 in Surrey geboren, studierte an der University of Brighton (1992-1995) und am Royal College of Art in London (1996-1998).

 

2009 würdigte das Folkwang Museum in Essen erstmals in Deutschland Strands Werke in der Einzelausstellung „Photography and Video“. Zeitgleich veröffentlichte der Göttinger Verlag Steidl zusammen mit Photoworks eine Monografie, die Strands Arbeiten von 2002 bis 2009 zusammenfasst und Texte von David Chandler, Ian Jeffrey und Ute Eskildsen enthält.

 

Strands Werke wurden in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, z.B. in Vitamin Ph, Portfolio, Photoworks, Creative Camera, New Perspectives in Photography, Photonews, Art Review und Exit Magazine. Präsentiert wurden ihre Arbeiten in renommierten Räumlichkeiten wie der Tate Britain (London), dem Huis Marseille (Amsterdam), der Photographer’s Gallery (London), dem Victoria and Albert Museum (London), dem Hassleblad Center (Göteborg), dem National Media Museum (Bradford) und dem Teatro Fernan-Gomez Arts Center (Madrid).

 

Fotoarbeiten der britischen Künstlerin befinden sich in Sammlungen wie der des Victoria and Albert Museums, des Arts Council of England, des British Council, der National Collection oder der New York Public Library sowie auch in privaten Sammlungen.

 

Clare Strand lebt und arbeitet in Brighton. Sie wird vertreten von der Galerie Brancolini Grimaldi in London.

 

Fotografien © Clare Strand

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